15. September 1999

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Urteil für Ngawang Sangdrol verlängert

Ngawang Sangdrol, einer 23-jährigen Nonne aus dem Kloster Garu, die erstmals im Alter von erst 13 Jahren verhaftet worden war, wurde die Haftstrafe zum dritten Mal verlängert, was bedeutet, daß sie nun wegen friedlicher politischer Protestaktionen im ganzen 21 Jahre eingesperrt sein wird.

Ngawang Sangdrols Vater, der 64-jährige Namgyal Tashi, wurde, obwohl seine 8-Jahre-Haftstrafe im Juni zu Ende war, nicht aus dem Gefängnis entlassen. Wie aus Tibet verlautet, durfte er seit den Protesten im Drapchi Gefängnis vom Mai letzten Jahres, die zum Tod von 11 Gefangenen, darunter 6 Nonnen führten, seine Tochter nicht mehr sehen. Sowohl Vater als auch Tochter sind von ungebrochenem Geist und großer Entschlossenheit. Auch die Regierung teilte mit, daß Ngawang Sangdrol "sich keiner Disziplin beuge" und im Gefängnis "wiederholt separatistisch aktiv wurde".

Die dritte Haftverlängerung für Ngawang Sangdrol wurde im Okt. 1998 von dem Mittleren Volksgericht von Lhasa verhängt, was ihre Freilassung erst im Jahr 2013 bedeutet. Diese letzte Verlängerung scheint eine Folge ihre Beteiligung an den Protesten im Mai 1998 in dem Drapchi Gefängnis zu sein. Einer zuverlässigen Quelle zufolge, die nun außerhalb Tibets weilt, soll sie als Strafe dafür, daß sie im Juli und noch einmal einen Monat später Parolen für Unabhängigkeit und den Dalai Lama gerufen hatte, schwer mißhandelt worden sein. Auch zwei weitere Nonnen, Ngawang Choezom aus dem Kloster Chubsang, und die 31-jährige Phuntsog Nyidrol aus dem Kloster Michungri sollen zu gleicher Zeit schwer geschlagen worden sein. Es bestehen ernste Sorgen um den Zustand und die Sicherheit von Phuntsog Nyidrol, die wegen friedlichen Demonstrierens 1989 in Lhasa zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Sie soll außerdem versucht haben, Ngawang Sangdrol bei den jüngsten Mißhandlungen zu schützen.

Es heißt, daß seit dem Aufruhr im Drapchi Gefängnis vom Mai letzten Jahres Freunden und Verwandten die Besuche bei Ngawang verboten wurden. Bei zwei Zwischenfällen am 1. und am 4. Mai 1998 riefen sowohl kriminelle als auch politische Gefangene Sprüche für Unabhängigkeit und den Dalai Lama, während sie wegen eines Besuches von Botschaftern der EU zu einem Meeting zusammengerufen wurden. Dieser Besuch fand am 4. Mai statt, aber es ist immer noch nicht erwiesen, ob der Protest vor oder nach dem Besuch ausbrach. Die Gefängnisleiter hatten Vertreter von verschiedenen Gefängnisblöcken, darunter über 60 Mönche, ausgewählt, um an diesem Tag eine Versammlung vorzutäuschen; als die Gefangenen plötzlich "Free Tibet" zu rufen begannen. Unbestätigten Berichten zufolge sollen Gefangene in den Zellen in der Nähe sich den Rufen angeschlossen haben. Die Gefängniswärter schlugen daraufhin brutal auf die politischen Gefangenen ein und isolierten sie in Einzelhaftzellen. Sechs Nonnen, drei Mönche und ein Laie erlagen den durch Folterung und Mißhandlung erlittenen Verletzungen.

Ngawang Sangdrol und einige andere politische Gefangene wurden besonders schwer mißhandelt, was schließen läßt, daß sie vielleicht als Anführerin der Demonstration erachtet wurde. Als den anderen Gefangenen nach einem Jahr wieder erlaubt wurde, Besucher zu empfangen, wurde Ngawang Sangdrol und einigen anderen Schlüsselfiguren dies, ebenso wie der Empfang von Nahrungsmittel- und Kleiderpäckchen von Verwandten weiterhin untersagt.

Ngawang Sangdrol wurde anfänglich im Herbst 1992 zu 3 Jahren Gefangenschaft verurteilt. Ein Jahr darauf sang sie zusammen mit 13 weiteren Nonnen, darunter auch Phuntsog Nyidrol und Ngawang Choezom, in ihrer Gefängniszelle Lieder über ihre Liebe zu Familie und Heimatland. Ein Tonband dieser Lieder wurde aus dem Gefängnis geschmuggelt, was dazu führte, daß Ngawang Sangdrols Urteils um 6 Jahre vermehrt wurde. Anderen Nonnen der Gruppe wurde ebenso vergolten, alle wurden als Strafe für ihr Tun schwer geschlagen.

Ngawang Sangdrol erfuhr die zweite Haftverlängerung auf ihre Beteiligung an den Dissensbekundungen in Drapchi 1996 hin. Sie war auch eine von den weiblichen politischen Gefangenen, die sich bei den von der Gefängnisleitung im Frühjahr 1996 eingerichteten Versammlungen gegen den offiziellen Panchen Lama Kandidaten wandten, wie ein ehemaliger, nun im Exil befindlicher politischer Gefangener berichtet. Ngawang Sangdrol weigerte sich aufzustehen, als ein Wachmann ihre Zelle betrat, und zusammen mit anderen Frauen mußte sie als Strafe dafür, daß sie ihre Zellen nicht gebührend aufgeräumt hatte, im Regen stehen. Sie rief dabei "Free Tibet" und ihr Urteil wurde zum zweiten Mal, um 8 oder 9 Jahre, verlängert.

Zuerst vom TCHRD veröffentlichten Informationen zufolge ist das Jahr für die offizielle Entlassung von Ngawang Sangdrol nun 2013, was andeutet, daß die letzte Urteilsverlängerung 3 oder 4 Jahre beträgt. Ngawang Sangdrol ist somit die auf die längste Zeit verurteilte weibliche Gefangene in Tibet. Die chin. Regierung lieferte Regierungen oder UN Gremien, die ihren Fall zur Sprache brachten, niemals Angaben über ihre verschiedenen Haftverlängerungen.

Sorgen um Ngawang Sangdrols Vater

Es ist nicht bekannt, wo sich Namgyal Tashi, der Vater von Ngawang Sangdrol, befindet. Seine Entlassung stand bereits vor drei Monaten nach der Vollendung einer 8-Jahre Strafe an, aber TIN bekam Hinweise, daß er immer noch festgehalten wird. Einem unbestätigten Bericht zufolge ist er krank und soll Ende letzten Jahres Behandlung erfahren haben.

Der 1935 in der Ortschaft Chideshol, Kreis Gongkar, Präfektur Lhoka, TAR, geborene Namgyal Tashi, wurde im Juni 1991 in seinem Haus in Lhasa zusammen mit seinem Sohn Tenzin Sherab nach einem Vorfall im Kloster Samye, bei dem eine tibetische Flagge gehißt wurde, verhaftet. Tenzin Sherab, ein Mönch Mitte dreißig, wurde zwei Jahre lang festgehalten. Namgyal Tashis Bruder Lobsang Lhundrub, der um dieselbe Zeit verhaftet wurde, ist nun wegen der in der Gefangenschaft erfahrenden Mißhandlungen an einen Rollstuhl gefesselt. Mindestens vier weitere Verwandte von Namgyal Tashi wurden ebenfalls wegen Verdachtes auf friedliche politische Betätigung, darunter auch das Verteilen von Briefen, festgenommen.

Namgyal Tashi ist ein ehemaliger Landbesitzer, dessen Familie den größten Teil ihres Besitzes nach dem tibetischen Aufstand vom März 1959 verlor. Während der Öffnungspolitik der 80er Jahre bekam Namgyal Tashis Familie das Recht, einen Ausgleich von der Regierung zu erhalten, der jenen geboten wurde, deren Besitz konfisziert worden war, aber Namgyal Tashi weigerte sich, ein Dokument zu unterschreiben, worin er die Politik der Chinesen gutheißen und um die Rückgabe seines Eigentums bitten sollte. Er bekam überhaupt nichts von der Regierung, weshalb seine Familie in finanzielle Not geriet.

Namgyal Tashi verbrachte wegen seiner Beteiligung an dem Aufstand von 1959 die besten Jahre seines Lebens in Gefangenschaft, hauptsächlich in den laogai, oder " Lagern zur Reform durch Arbeit". Bei den damaligen politischen "Kampfsitzungen" wurde er viele Male grausam geschlagen. Manchmal waren die Schläge so heftig, daß er bewußtlos nach Hause gebracht wurde. Nach 1980 fand er und andere Glieder seiner Familien in der Bauindustrie Arbeit.

Namgyal Tashis Frau, Jampa Choezom, die er 1957 heiratete, starb im Alter von 52 Jahren an Herzversagen, kurz nachdem Namgyal Tashi 1991 verhaftet wurde. Ngawang Sangdrol war die zweitjüngste von 8 Kindern, vier Töchtern und vier Söhnen. Das erste Kind des Ehepaares wurde während der Kulturrevolution im Alter von 12 Jahren erschossen, als es seinem Vater, der auf einer Baustelle beim Chakpori in der Nähe des Potala arbeitete, das Essen bringen wollte.

Nach der Verhaftung von Namgyal Tashi 1991 und der ein Jahr darauf folgenden von Ngawang Sangdrol durften sich Vater und Tochter regelmäßig im Gefängnis besuchen, bis ihnen diese Besuche letztes Jahr nach den Protesten vom Mai versagt wurden. Ein jetzt im Exil lebender Verwandter von Namgyal Tashi erzählte, daß Freunde und Verwandte irgendwann in 1998 plötzlich keine Post mehr von ihm bekamen, die bis dahin regelmäßig erfolgte. Man vermutet, daß seine fortgesetzte Festhaltung und Isolierung von seiner Familie im Zusammenhang mit dem Dissidententum seiner Tochter steht.

Ngawang Sangdrol wurde erstmals im Alter von 11 Jahren politisch aktiv, als sie bei den Unabhängigkeitsdemonstrationen in Lhasa von 1987/88 mitmachte. Als sie 13 Jahre alt war, verließ sie eines Abends ihr Haus, aber kehrte nicht mehr heim. Mehrere Monate lang wußte die Familie nicht, wo sie sich befand. Dann kam heraus, daß sie in der Gutsa Haftanstalt war, weil sie zusammen mit anderen Nonnen protestiert hatte. Ihre Mutter Jampa Choezom konnte sie einmal vor ihrem Tod in der Haftanstalt besuchen. Die junge Ngawang Sangdrol zwang sich, nicht zu weinen, um ihrer Mutter den Eindruck zu geben, daß alles in Ordnung sei. Erst als sie in ihre Zelle zurückkehrte, brach sie in Tränen aus.

Ngawang Sangdrol wurde wohl wegen ihres jungen Alters kurzzeitig Ende 1991 entlassen. Schon während ihrer ersten Haftzeit wurde sie so schwer geschlagen, daß ihre Hände Verletzungen davontrugen. Als sie nach Hause zurückkehrte, war ihre Mutter gestorben und ihr Vater festgenommen worden, während einige andere Personen des Haushalts ins Exil geflohen waren. Als eine ehemalige politische Gefangene durfte sie nicht mehr in ihr Kloster zurückkehren. Sie wurde erneut im Juni 1992 verhaftet, als sie zusammen mit einer weiteren Nonne und drei Mönchen zu demonstrieren versuchte. Es heißt, daß sie auf verschiedene Weise gemartert wurde, etwa durch Wasserentzug über lange Zeit. Einer Erzählung zufolge versuchte sie, Regenwasser in einem Napf aufzufangen, aber sie war noch zu klein, um ihn durch die Stangen ihrer Zelle zu stecken.

Unzählige Berichte erreichten TIN, daß sie auch während ihrer jetzigen Gefangenschaft brutale Mißhandlungen erfährt, daß sie mindestens zwei Monate lang 1996 bei einer Hungerration in Einzelhaft gehalten wurde und womöglich immer noch darin ist. Auf die scharfen Vergeltungen für ihre Beteiligung an politischen Protesten letztes Jahr hin besteht ernste Besorgnis um ihre Gesundheit und Sicherheit. Die chinesische Regierung behauptet jedoch, Ngawang Sangdrol sei trotz der wegen ihrer "separatistischen Aktivitäten" verhängten Bestrafung bei "normaler Gesundheit".

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